Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit by Karl Ove Knausgård

Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit by Karl Ove Knausgård

Autor:Karl Ove Knausgård [Knausgård, Karl Ove]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
veröffentlicht: 2023-02-14T23:00:00+00:00


JEWGENIJ

E in Mann, der vermutlich mein neuer Beifahrer war, stand vor dem Bürogebäude, als ich am Morgen zur Arbeit kam. Ich bog auf den Parkplatz und stellte den Wagen am hinteren Ende ab, obwohl er praktisch leer war, um mir ein Bild von dem Burschen zu machen; er wusste ja noch nicht, wer ich war.

Der Schnee lag noch in Haufen an den Rändern des Platzes, zusammengepresst nach einem langen Winter, glänzend im Sonnenlicht. Der Asphalt war nass, und hinter den Bäumen hatte das Eis auf dem Fluss den Rückzug angetreten. Das Wasser glitt grünlich und anschwellend durch die breite, eisfreie Rinne, hier und da schaukelte etwas, vermutlich Eisschollen.

Ich knallte die Tür zu und ging auf ihn zu. Der Bursche war nicht alt, höchstens zwanzig. Klein und kompakt gebaut. Rasierter Schädel. Blaue Jeans, schwarze Boots, eine graue Kapuzenjacke unter einer blauen Jacke. Er stand da und sah, die Hände in die Taschen gesteckt, zu Boden. Als ich näher kam, fiel mir auf, dass er ein Tattoo hatte, das sich ein Stück weit den Hals hinauf erstreckte. Das Gesicht blass und unfertig, rote Wangen.

Ich ging an ihm vorbei ins Büro, das nicht mehr als ein kleiner Verschlag war, und in dem Stanislaw vor dem Drucker stand und die Papiere einsammelte, die in einem Stapel ausgespuckt wurden, während Natascha den Telefonhörer zwischen Wange und Schulter geklemmt hielt und auf den Fingernägeln kaute.

Stas drehte sich um.

»Jewgenij Pawlowitsch«, sagte er.

»Zu Ihren Diensten«, sagte ich und setzte mich auf seinen Bürostuhl. Ein Zucken lief über sein Gesicht, aber er sagte nichts.

»Was tut sich heute?«, fragte ich.

»Du bekommst einen neuen Mann. Er steht draußen. Viktor. Ihr fahrt nach Kasan. Aber das weißt du ja schon.«

Ich lächelte Natascha zu, die mein Lächeln erwiderte.

»Das tue ich, wenn ich es recht bedenke«, sagte ich.

»Und am Montag nach Moskau.«

»Mit Parkett?«

»Ja.«

»Etwas auf der Rückfahrt?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nur du und der Junge.«

»Wie hast du ihn gefunden?«

»Er hat sich am selben Tag gemeldet, an dem Serjoscha angerufen hat.«

»Und dann hast du ihn einfach so genommen?«

»Nicht doch, ich habe mich am Freitag mit ihm unterhalten. Er hat recht gute Zeugnisse. Scheint ein feiner Kerl zu sein.«

»Du musst nicht jeden Tag mit ihm im Wagen sitzen.«

Ich stand auf, nahm die Papiere, die Stas mir hinhielt, und ging hinaus. Der Junge ließ sich nichts anmerken, obwohl ich mich ziemlich dicht neben ihn stellte.

Ich zündete mir eine Zigarette an. Hielt ihm die Schachtel hin.

»Möchtest du eine?«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin Jewgenij«, sagte ich. »Du fährst mit mir.«

»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte er ohne große Begeisterung.

»Ich habe gehört, dass du ein fleißiger Bursche bist. Das gefällt mir. Aber was hat es mit dem Tattoo auf sich?

»Damit hat es nichts auf sich«, sagte er und sah weiter zu Boden. »Es ist nur ein Tattoo.«

»Was für eins?«

»Das Logo von Rubin.«

»Aha!«, sagte ich. »Der Löwe, der ein Schwan ist! Du interessierst dich für Fußball?«

»Natürlich.«

»Ja, natürlich. Spielst du selbst?«

Er schüttelte den Kopf, ehe er sich zur Seite drehte und ausspuckte.

Wütend und beschränkt, wie es bei kleinen Männer oft der Fall war.

»Aber du gehst zu den Spielen?«

»Ja.



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